Kruhl, August

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Kurzbiografie

August Kruhl wurde wahrscheinlich 1829 in Parchwitz, Schlesien, in Ă€rmlichen VerhĂ€ltnissen geboren. A. K. lernte vom 14. bis zum 19. Lebensjahr das Handwerk seines Vaters Gottfried Kruhl und wurde trotz Zweifeln an der Profession zum Weißgerber. Von 1865-1866 arbeitete A. K. in einer Lederfabrik in Berlin und machte dort zusĂ€tzlich erste Erfahrungen im Zeitungswesen. Anschließend folgte eine lange Reihe an Ortswechseln unter anderem nach Dortmund, Oberhausen, Köln, Quedlinburg, zu verschiedenen kleinen schlesischen Orten und Halberstadt, wo er nach einer kurzen Flucht ĂŒber die Schweiz und Belgien inhaftiert wurde fĂŒr das Herausgeben einer vermeintlich religionsfeindlichen Zeitschrift. A. K. begrĂŒndete die vielen Arbeitgeberwechsel einerseits mit der Schikane anderer Arbeiter*innen (im Handwerk), andererseits mit finanzieller Erfolglosigkeit (im Zeitungswesen). Zuletzt zog es A. K. im Jahre 1880 nach Hirschberg in Schlesien, wo er als selbststĂ€ndiger Schriftsteller und Herausgeber seinen Lebensunterhalt bestritt. A. K.s Todesdatum ist nicht bekannt, allerdings wurde er noch 1907 als Herausgeber einer vegetarischen Zeitschrift genannt. A. K. hatte mindestens vier Kinder; aus erster Ehe: Oskar (Oscar) (1858*), Bertha (1859-1860*), Sylvia (1861*-1888†); aus zweiter Ehe: ?.

Engagement in der Vegetarismusbewegung

A. K. war schon frĂŒh AnhĂ€nger der Vegetarismusbewegung, was aus seinem Besuch des ersten Vereinstages des Vereins fĂŒr naturgemĂ€ĂŸe Lebensweise (Vegetarianer) 1869 hervorgeht. Wahrscheinlich durch die frĂŒhe AnhĂ€ngerschaft war er gut in das vegetarische Netz eingebunden, so verschaffte der Dresdner Naturarzt Gustav Wolbold seiner Tochter eine Anstellung. Dennoch scheute A. K. sich nicht, Kritik an der Bewegung zu ĂŒben – unter anderem kritisierte er, dass die durch die veg. ErnĂ€hrung vermeintlich erhöhte Arbeitskraft dazu fĂŒhre, dass manche Gesinnungsgenossen ihre vegetarischen Untergebenen stark ausbeuteten.

A. K. ordnete sich selbst der tierethischen Strömung der Vegetarismusbewegung zu, wodurch die Spannung zwischen seinen Ansichten und seiner Profession besonders hervortrat. 1871 schaltete A. K. eine Anzeige in dem Vereins-Blatt fĂŒr Freunde der natĂŒrlichen Lebensweise, in der er fĂŒr seinen Sohn Oscar eine Ausbildung suchte, damit er eine „edlere und sittlichere BeschĂ€ftigung“ finde als das Weißgerberhandwerk. In einem Artikel im Jahre 1883 in der gleichen Zeitschrift sprach A. K. von jahrelangen Anfeindungen, die er als vegetarischer Gerber ertragen musste und dass er mit seiner aktuellen BeschĂ€ftigung als Schriftsteller nie wieder zurĂŒckkehren wollte zum Handwerk. 1885 entbrannte innerhalb der Vegetarismusbewegung eine Debatte um die ZulĂ€ssigkeit von Reformwollkleidung nach Gustav JĂ€ger. Im Zuge dieses Diskurses, an dem A. K. lebhaft teilnahm, argumentierte er fast ausschließlich mit tierethischer BegrĂŒndung gegen jegliche tierische Kleidung. Trotz tierethischer Argumentation hielt A. K. an der anthropologischen Differenz fest und ordnete den Menschen klar als höherwertig gegenĂŒber dem Tier ein. DarĂŒber hinaus gab A. K. ab 1886 die vegetarische und anti-vivisektorische Zeitschrift Der Volksarzt fĂŒr Leib und Seele. Eine Monatsschrift fĂŒr gesunde Lebensanschauungen in Hirschberg (Schlesien) heraus, die mindestens bis 1899 im 14. Jahrgang existierte, allerdings noch 1907 referenziert wurde. 1890 veröffentlichte A. K. ein Buch, das autobiografische ZĂŒge trug und einen Einblick in das Leben von Vegetarier*innen der unteren Schichten geben sollte.

Weitere Ansichten

Wie viele Vegetarier*innen war auch A. K. AnhĂ€nger der ReformpĂ€dagogik und rĂŒhmte sich, nie die PrĂŒgelstrafe auf seine Kinder angewandt zu haben. Wahrscheinlich war dies der Einstieg in weitere reformerische Strömungen inklusive des Vegetarismus.

Über die Siegesfeier des Deutsch-Österreichischen Kriegs, die er in Berlin mitbekam, Ă€ußerte er sich wenig begeistert und implizierte eine ablehnende Haltung gegenĂŒber dem preußischen nationalistisch aufgeladenen Bellizismus, indem er auf seine pazifistischen Ansichten verwies. Dennoch betrachtete er verallgemeinernd andere Volksgruppen als niederwertig, wie einer Aussage ĂŒber die indische Kultur und die polnische Wirtschaft zu entnehmen ist. Zuletzt wandte sich A. K. gegen die (revolutionĂ€re) Arbeiter*innenbewegung. Seiner Auffassung nach beuteten sich die Arbeitsgenoss*innen untereinander stĂ€rker aus als die großen KaufmĂ€nner und Fabrikbesitzer*innen. A. K. betrachtete die arbeitenden Individuen als „fehlerhaft“ in ihrer Persönlichkeit und antizipierte, dass Erleichterungen fĂŒr die Arbeiter*innen wie höhere Löhne mit einem Anstieg schĂ€dlichen Konsumverhaltens einhergehen und somit verpuffen wĂŒrden. Trotz A. K.s eigener Zugehörigkeit zur Arbeiter*innenklasse Ă€ußerte er sich wiederholt ablehnend gegenĂŒber der Arbeiter*innenbewegung und betonte – wie die bĂŒrgerlich geprĂ€gte Vegetarismusbewegung insgesamt – die Selbstreform als Lösungsansatz fĂŒr die soziale Frage.

Werke

  • Kruhl, August (1890): Die Wanderungen meiner Tochter Sylvia. Ein einfaches Lebensbild etwas umstĂ€ndlich zusammengestellt und erzĂ€hlt von August Kruhl, Hirschberg (Schlesien).

WeiterfĂŒhrende Literatur

  • Fritzen, Florentine (2006): GesĂŒnder leben – Die Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert. Franz Steiner Verlag.
  • Neef, Katharina (2014): Multiple Devianz – Zur Fassbarkeit und Struktur eines alternativkulturellen PhĂ€nomens. In: Franke, Edith; Kleine, Christoph; MĂŒrmel, Heinz (Hrsg.): Devianz und Dynamik – Festschrift fĂŒr Hubert Seiwert zum 65. Geburtstag. Vandenhoeck & Ruprecht: S. 185-203.
  • Siemens, Daniel (2009): „Wahre Tugend mit Beefsteaks unvereinbar“ – Diskurse um Ethik und Ästhetik im deutschen Vegetarismus, 1880-1940. In: Elberfeld, Jens; Otto, Marcus (Hrsg.): Das schöne Selbst – Zur Genealogie des modernen Subjekts zwischen Ethik und Ästhetik. transcript Verlag: S. 133-168.

Eintrag von: Simon Kleinert (2022)