Vinciane Despret:
Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen?
Unrast Verlag, Münster, 2019
ISBN: 978-3-89771-266-9
Diese Rezension erschien erstmals im September 2019 im Magazin TIERBEFREIUNG, Ausgabe 104.
Anfang des Jahres erschien im Unrast-Verlag die deutsche Übersetzung von Vinciane Despret’s „Que diraient les animaux, si … on leur posait les bonnes questions?“, in Deutsch: Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen?. Vinciane Despret ist eine belgische Wissenschaftsphilosophin, die an der Universität Lüttich (Liège) lehrt und in den letzten Jahren mehrere Bücher zum Mensch-Tier-Verhältnis als auch zu feministischen Themen veröffentlicht hat. Es ist erfreulich und wichtig, dass eines ihrer Werke nun auch in deutscher Sprache erhältlich ist – denn ihre Perspektiven möchte ich nicht mehr missen.
Nach zwei Vorworten – eines von der Übersetzerin Lena Völkening (freiberufliche Journalistin, Autorin und Übersetzerin, eines von Bruno Latour (Soziologe, Philosoph und Begründer der Akteur-Netzwerk-Theorie) – folgen 26 kurze Essays von A bis Z. In diesen wird jeweils eine Frage beantwortet oder, besser gesagt, eine Annahme hinterfragt und aus neuen Perspektiven anders beleuchtet als wir es bisher gewohnt waren. Dabei geht es beispielsweise darum, ob Affen wirklich nachäffen, ob Tiere aufbegehren können, ob Tieren ihr Aussehen wichtig ist, wofür sich Ratten in Experimenten interessieren, ob Vögel Kunst machen, wer Sprache und Mathematik erfunden hat und so weiter. Viele spannende Fragen mit teils sehr überraschenden Antworten. Vinciane Despret hat es geschafft, alte Erkenntnisse und Annahmen – mal hochtheoretisch, mal amüsant, mal philosophisch – umzuinterpretieren und neue Rückschlüsse daraus zu ziehen. Damit regt das Buch zum Nachdenken ebenso wie zum kritischen Hinterfragen der eigenen Annahmen an. Die konstruierte Grenze zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren bröckelt dabei zusehends. Kritisch hinterfragt werden zudem auch immer wieder einige Grundannahmen von Tierbefreiungsaktivist*innen, wie beispielsweise deren Sicht auf Tiere* – als bloße (stimmlose) Opfer oder handelnde Akteur*innen oder gar als Fremde, die wir erst noch vorurteilslos kennenlernen müssen.
Aus Sicht der Tierbefreiungsbewegung dürften jedoch auch einige Ansätze irritierend wirken. Die Erkenntnisse, auf die sich Despret bezieht, stammen zu einem großen Teil aus der Tierforschung und/ oder Tierhaltung. Ähnlich wie Donna Harraway stellt Despret fest, dass nichtmenschliche Tiere handelnde und mit Wirkmacht ausgestattete Individuen sind. Ja, es stimmt, nichtmenschliche Tiere verändern das Labor- bzw. Forschungssetting und sie wirken auf dieses und die Forschenden ein. Leider werden dabei Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen verschleiert, in denen Tiere* verortet sind. Mit einem kritischen Blick jedoch dürfte gerade die Frage nach tierlicher Handlungs- und Wirkmacht für die Tierbefreiungsbewegung interessant sein, da dadurch andere Fragen und möglicherweise aktivistische Praktiken entwickelt werden können.
Das Buch ist daher absolut empfehlenswert für alle, die sich neue Erkenntnisse und Eindrücke verschaffen und ihren Blick auf und ihre Annahmen über Tiere* verändern wollen.