Jonathan Balcombe:
Was Fische wissen – Wie sie lieben, spielen, planen: unsere Verwandten unter Wasser
mareverlag, Hamburg, 2018
ISBN: 978-3-86648-283-8
Ich habe lange keine Bücher von Verhaltensbiolog*innen über Tiere gelesen. Es war für mich lange weniger interessant bzw. für meine politische Arbeit wenig relevant, was nichtmenschliche Tiere machen und können. Es sollte ja gerade nicht darum gehen, irgendjemand (menschlich oder tierlich) nach seinen_ihren Fähigkeiten zu beurteilen. Seit einiger Zeit hat sich dieser Standpunkt ein wenig verschoben. Mit der Auseinandersetzung um tierlichen Widerstand gegen unsere tierausbeuterische Gesellschaft vergrößerte sich mein Interesse am dem, was Tiere machen und können. Ich habe mir also vorgenommen, das eine oder andere „Tierbuch“ zu lesen und vorzustellen. Den Anfang mache ich mit einem Sprung ins kalte Wasser.
„Was Fische wissen“ von Jonathan Balcombe widmet sich einer Tiergruppe, deren Schreie für den Menschen unhörbar erscheinen. 2018 verlegte der mareverlag das bereits 2014 in englischer Sprache erschienene Werk. Das Buch ist aber kein klassisches der wissenschaftlichen Verhaltensbiologie. Die vielbeschworene Objektivität wird von Balcombe gegen eine parteiische Position eingetauscht. Bereits im Prolog werden eine vermeintlich einfache These als Ausgangspunkt formuliert und auch ihre Folgen bereits vorweggenommen: „Die simple Hypothese lautet, dass Fische Individuen sind, deren Leben einen Eigenwert besitzt […] Die weitreichende Bedeutung dessen besteht darin, dass sie damit berechtigt wären, in unsere Moralgemeinschaft aufgenommen zu werden“ (S. 13).
Gleich zu Beginn des inhaltlichen Teils räumt Balcombe mit einigen Vorstellungen über „Fische“ auf. Angenommene nahe (biologische) Verwandtschaftsverhältnisse werden hinterfragt. Weiterhin werden an einigen Beispielen die naturgeschichtlichen Entwicklungen einiger weniger der über 30.000 Fischarten vorgestellt. Einzelne Superlative, z.B. das kleinste Wirbeltier oder der längste Name werden in folgenden Kapiteln vorgestellt. Im Verlauf des Buches werden weitere Annahmen über Fische und andere Unterwasserlebewesen hinterfragt. Balcombe zeigt beispielsweise, dass Fische ihre Geschlechter (im Sinne von sex) wechseln oder überhaupt nicht in unsere binäre Vorstellung von Geschlecht passen. Auch die Erinnerungsleistung von „Goldfischen“, die angeblich nur wenige Sekunden betrage, wird uns als Märchen entlarvt.
Wermutstropfen ist – wie bei vielen Büchern über das Verhalten von Tieren, dass die Ergebnisse aus Laborversuchen – in diesem Kontext häufig auch in Aquarien und Zoos – gewonnen wurden. Natürlich muss Balcombe auf Forschungsergebnisse zurückgreifen und er selbst scheint an vielen Punkten auch Konsequenzen gezogen zu haben, viele seiner Kolleg*innen bisher leider noch nicht. Aus den Zeilen Balcombes wird nicht nur sein Fachwissen deutlich, sondern auch, dass er dafür plädiert, Fische in die menschliche Moral einzubeziehen. Sichtbar wird dies beispielsweise daran, dass er explizit erwähnt, wenn Forschende die Fische, mit denen sie „gearbeitet“ haben, wieder frei ließen. Wie weit die Berücksichtigung der Fische gehen sollte, wird jedoch nicht ganz deutlich, wenn beispielsweise dazu geraten wird, sich in einem Aquarium Fische für längere Zeit anzuschauen und vor allem industrieller Fischfang kritisch angegangen wird.
Insgesamt ist das Buch – auch wegen seiner anekdotenhaften Ausrichtung – gut lesbar. Für Neulinge auf dem Gebiet der Verhaltensforschung, wie mich, ist es ein guter Einstieg und aus einer tierbefreierischen Sicht ist es wohl eines der besseren Bücher – immerhin werden Fischen hier prinzipieller Subjektstatus und die Integration in menschliche moralische Wertvorstellungen zugestanden. Wer einen Einblick in die Unterwasserwelt haben möchte, die verständlich geschrieben und ein Plädoyer für moralische Berücksichtigung von Fischen ist, dem_der ist das Werk zu empfehlen. Den Mitschnitt eines Vortrags von Jonathan Balcombe hat die Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt auf Youtube online gestellt.