Tiere und Geschichte: Zwei Bände zur Frage, wie Geschichte mit Tieren geschrieben werden kann

Der Franz Steiner Verlag veröffentlichte in den Jahren 2014 und 2017 zwei Bücher mit dem Titel Tiere und Geschichte. Im ersten Band widmen sich Historiker*innen in einer theoretischen Ausrichtung der Frage, wie Geschichte mit Tieren schreibbar sein kann. Im zweiten Band gehen Studierende der Universität Konstanz derselben Frage nach – jedoch eher anwendungsbezogen, indem Kommentare zu verschiedenen Quellenbeständen verfasst wurden.

KrĂĽger, Gesine / Steinbrecher, Aline / Wischermann, Clemens (Hrsg.):
Tiere und Geschichte – Konturen einer Animate History
Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2014
ISBN: 978-3-515-10935-2

Tiere und Geschichte – Konturen einer Animate History ist der Titel des ersten Bandes – herausgegeben von Gesine Krüger, Aline Steinbrecher und Clemens Wischermann. Das Buch liefert theoretische Zugänge zu einer „belebten Geschichte“. Dabei sind nebst einem Vorwort und einer Einleitung der Herausgeber*innen insgesamt elf Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten versammelt. Die einzelnen Beiträge nähern sich dabei einzelnen Themengebieten an, die die Schnittstellen von Human-Animal Studies und anderen (geschichts-)wissenschaftlichen Bereichen aufzeigen. Dementsprechend tragen die einzelnen Kapitel Überschriften, wie Tiere und Bilder, Tiere und Geschlecht, Tiere und Imperium, Tiere und Medien oder Tiere und Raum. Die Beitragenden nähern sich den Mensch-Tier-Beziehungen und -Verhältnissen dabei aus ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Standpunkt. Thematisiert werden beispielsweise die Verortung von Hunden in städtischen Räumen der Vormoderne (Aline Steinbrecher), die Auswirkungen von Imperialismus auf nichtmenschliche Tiere (Gesine Krüger) oder auch die Frage nach Vermenschlichung und Versachlichung von Tieren in der Wissenschaft (Mitchell G. Ash). Einen Zugang aus emotionsgeschichtlicher Perspektive wählt Pascal Eitler in seinem Beitrag. Die Perspektive der Gender-Wissenschaften trägt Carola Sachse bei. Der Frage nach den Konzeptionen von „Rasse“ und den daraus folgenden eugenischen Bestrebungen bzw. der „Menschenzucht“ widmet sich Boris Barth. Stefan Zahlmann widmet sich den Fragen nach Tieren und Medien. Einen bildgeschichtlichen Zugang wählt Mark Hengerer. Clemens Wischermann widmet sich den Nahbeziehungen von Menschen und anderen Tieren. Den Bereich der Ökonomie begeht Heinrich Lang in seinem Aufsatz. Für Aktive der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung scheint besonders der Beitrag von Mieke Roscher interessant: In ihrem Aufsatz widmet sie sich der Neuen Politikgeschichte mit nichtmenschlichen Tieren. Zuerst nimmt sie eine theoretische Einordnung des Themenfeldes vor. Anschließend nimmt Roscher zwei Formate der Tierschutz- und Artenschutzbewegung als Beispiele für den Themenbereich Tiere und Politik unter die Lupe. Einerseits nähert sich Roscher dem Themenfeld mit der Analyse der Meeresschutzorganisation Sea Shepard, andererseits widmet sie sich einem Tierschutzkonflikt zwischen britischen Kolonialist*innen und indischen Tierschutzaktiven rund um den Schutz von Kühen im kolonialen „Britisch-Indien“. Der erste Band von Tiere und Geschichte bietet allen historisch Interessierten aus dem Bereich der Human-Animal Studies eine sehr gute Einführung in theoretische Zugänge aus unterschiedlichsten Bereichen der Geschichtswissenschaft. Das Buch ist allen empfohlen, die Interesse an theoretischen Zugängen zu den Konturen einer Animate History haben.

Kugler, Lena / Steinbrecher, Aline / Wischermann, Clemens (Hrsg.):
Tiere und Geschichte – Band II: Literarische und historische Quellen einer Animate History
Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2017
ISBN: 978-3-515-11870-5

Wer vielmehr einen praktischeren Zugang zu literarischen oder historischen Quellen haben möchte, für den*die ist der zweite Band der Reihe womöglich interessanter. Der zweite Band aus dem Jahr 2017 trägt den Titel Tiere und Geschichte – Band II: Literarische und historische Quellen einer Animate History. Herausgegeben wurde der zweite Band von Lena Kugler, Aline Steinbrecher und Clemens Wischermann. Im Gegensatz zum ersten Band kommen hier allerdings Studierende zu Wort. Dabei basiert der Sammelband auf zwei interdisziplinären Seminaren an der Universität Konstanz aus den Jahren 2015 und 2016. Der Aufbau des zweiten Bandes orientiert sich an dem des ersten Bandes, nähert sich also ebenfalls aus verschiedenen Perspektiven der Frage nach der Geschichte der Mensch-Tier-Verhältnisse. Insgesamt finden sich acht größere Abschnitte im Buch, wobei es pro Abschnitt mehrere kurze Kommentare von Studierenden zu einzelnen literarischen und historischen Quellen gibt. Für Aktive der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung versammeln sich dabei einige Beiträge im Sammelband – beispielsweise der Beitrag von Armin Schönfeld zum Verbot des Hundefleisch-Essens in Deutschland aus dem Jahre 1985. Auch der Beitrag von Sebastian Mayer mit dem Titel A. Sturm: Tierrechte, 1891 bietet einen Einblick in die Geschichte der Vorstellung von Tierrechten aus historischer Perspektive. Einem antisemitisch motivierten Tier-Gesetz während der NS-Zeit widmet sich Juliane Schmidt: Sie gibt Einblicke in Victor Klemperers Tagebücher, genauer gesagt in seine Ausführung zum Tod des Katers Muschel, der aufgrund des Verbotes für Jüdinnen und Juden Haustiere zu halten durch einen Tierarzt getötet wurde. Ein weiterer Beitrag widmet sich explizit der Tierrechtsbewegung: Lena Kolb widmet sich kritisch einem Protest der Tierschutzorganisation PeTA in New York aus dem Jahr 2010. Auch der Beitrag von Sebastian Kungel zur Standardisierung von sogenannten Versuchstieren kann für Aktive besonders interessant sein. Dies sind natürlich nur Beispiele, die weiteren Beiträge sind ebenfalls sehr spannend. Besonders hervorzuheben am zweiten Band ist, dass hier Studierende zu Wort kommen anstelle bereits etablierter Wissenschaftler*innen. Projekte dieser Art sollte es m.E. viel mehr geben, um jetzigen Studierenden die Möglichkeit zu eröffnen, publizistisch tätig zu werden. Die einzelnen Quellenkommentare sind zwar eher kurz gehalten, dafür bieten sie eine große Menge an Zugängen und auch Quellenbeständen. Für historisch Interessierte ist der zweite Band, der vorzüglich mit Anwendungsbeispielen arbeitet, wie bereits der erste eine gute Einführung in die Animate History.

Die beiden Bände aus dem Franz Steiner Verlag bieten historisch Interessierten theoretische und praktische Zugänge in die historischen Human-Animal Studies. Alle, die am Wandel der Mensch-Tier-Verhältnisse interessiert sind, sollten sich diese beiden Werke nicht entgehen lassen.