Neo C.:
Wer zur Welt kommt, den bestraft das Leben – Von der Betrachtung zur Verachtung zum Trotz
animot Verlag, Lengerich/Westf., 2019
ISBN: 978-3-94815-704-3
Diese Rezension erschien erstmals im März 2020 im Magazin TIERBEFREIUNG, Ausgabe 106.
Das 2019 im Verlag animot erschienene Werk „Wer zur Welt kommt, den bestraft das Leben“ des Aktivisten* und Künstlers* Neo C. stellt den zweiten Band der Reihe befreit – Schriften zur Tierbefreiung.
Das Buch besteht aus drei größeren Blöcken, die durch ein Vorwort des Herausgebers*, eine Danksagung und ein Vorwort des Autors* ergänzt werden. Der erste Block ist ein Gedichtzyklus mit dem Titel Die Ohnmacht kann mich mal kreuzweise – Ein Gedichtzyklus im Geiste des Widerstandes. Die Gedichte sind eine Reflektion der Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Aktivismus in verschiedensten sozialen Bewegungen. Aus den Gedichten ist klar der emanzipatorische Anspruch Neo C.’s herauszulesen, vielschichtig sind die gewählten Themen. Tierausbeutung, die eigene Autonomie, das beschwerliche Geräusch von Sägen an zu fällenden Bäumen, der Polizeieinsatz im Hambacher Forst – all das und vieles mehr wird hier lyrisch aufgearbeitet. Beim Lesen der Gedichte fallen mir immer wieder ähnliche Situationen ein und ich muss zugeben, ich könnte diese nicht in Gedichten verarbeiten. Umso schöner ist es doch zu sehen bzw. zu lesen, dass man nicht allein ist mit seinen Fragen, Kämpfen, aber auch Ă„ngsten und Ekeln. Im Vorwort schreibt Neo C., dass die Gedichte den Lesenden Motivation und Mut auf ihren weiteren Wegen mitgeben sollen – bei mir hat das Ganze funktioniert.
Der zweite Block ist ein politisches Manifest, das von einer unbekannten Gruppe herausgegeben wurde (oder vielleicht noch wird). Es hat den Namen Misanthropisches Manifest – Warum es den Menschen nicht geben sollte. Als ich die Überschrift las, musste ich erstmal schlucken – ein „misanthropisches Manifest“ aus der Feder eines Aktivisten, der sich emanzipatorischen Kämpfen zuordnet? Im Vorwort beschreibt Neo C. seine Motivation hinter dieser „philosophische[n] Reflexion“:
„Das Werk setzt sich aus einem zutiefst pessimistischen Blickwinkel mit dem Leben, dem Menschen und der Natur auseinander, verwendet hierfür allerdings gezielt das persuasive Mittel der Übertreibung und Überspitzung. Insofern ist das Manifest durchaus als Satire zu verstehen, deren Anliegen aber natürlich einen ernsten Kern besitzt.“
S. 14
Schon war ich wieder etwas beruhigter. Der Hinweis auf der ersten Seite des Manifests, dass dieses als fiktional zu betrachten sei, beruhigte mich noch etwas mehr. Der Text selbst war vor diesem Hintergrund dann auch besser zu verstehen, doch lachen musste ich nicht, wie ich es mir nach dem Wort „Satire“ einbildete. Das misanthropische Manifest ist tatsächlich eine sehr pessimistische Schrift und nimmt ihr Fazit bereits in ihrem eigenen Vorwort vorweg: „Wir fordern nicht weniger als die Abschaffung der Menschheit durch einen verbindlichen Reproduktionsstopp.“ (S. 54) Das zweite Kapitel („Das menschliche Leben ist Strafe nicht Geschenk“) analysiert, mit Verweis auf Schopenhauer, das menschliche Leben als eine stetige Jagd nach Bedürfnisbefriedigung. Die Befriedigung eines Bedürfnisses dient aber nicht der Freude oder ähnlichem, sondern wird schnell langweilig, wodurch schnell ein neues Bedürfnis befriedigt werden will. Die menschliche Existenz wird beschrieben als ständiger Kampf gegen die Vorstellung des eigenen Todes. Das Kapitel „Über die Beschaffenheit der Natur“ beginnt zwar versöhnlicher, mit der Beschreibung der Natur als „perfekt“. Schnell wird dies jedoch von der allgemeinen Stimmung des Textes eingeholt: Der „Kampf ums Dasein“, der für alle Individuen dieser Welt grausam sein kann und durch Zufall zum Ende der eigenen Existenz führen kann. Das Unterkapitel „Über den Menschen in der Natur“ widmet sich der Möglichkeit des Menschen, Leid und Grausamkeit zu vermindern. Der pessimistischen Logik des Textes folgend wird jedoch schnell klar, diese Möglichkeit wird keineswegs ausgeschöpft – ganz im Gegenteil:
„Der Widerspruch zwischen dem, was der Mensch auf sich hält und jenem, wie er sich benimmt, könnte gravierender kaum ausfallen.“
S. 61
„Über den Menschen und seinen Umgang mit nichtmenschlichen Tieren“ thematisiert Tiernutzung und dies in krasser bildlicher Beschreibung. Verschiedenste Formen der Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere werden schlaglichtartig vorgestellt. Bei mir entstehen die passenden Bilder im Kopf. Das Fazit fasst das bisher Gelesene zusammen und stellt noch einmal die Forderung eines Reproduktionstopps in den Raum. Lachen musste ich, wie gesagt, während des satirischen Textes nicht. Ich kann jedoch verstehen, dass dieser Text durchaus auch Selbsttherapie war. Bei einigen Analysen kann ich gefühlt zustimmen, ich komme – so wie Neo C. in seinen anderen Beiträgen auch, sonst würde er sich nicht in sozialen Bewegungen engagieren – nicht zu dem Ergebnis, dass die Menschheit per se abgeschafft werden sollte. Am Ende des Textes wird mir jedoch auch nochmal bewusst, dass es durchaus Positionierungen innerhalb der Umwelt- und Tierrechtsbewegung gibt, die genau diese Forderung stellen würden – ohne dies als Überspitzung zu sehen.
Der dritte Block des Buches ist eine Sammlung weiterer Texte, die nicht einheitlich einem Genre zugeordnet werden können. Es handelt sich um Essays, Aufsätze und verschiedene Prosabeiträge. Wie bereits im Gedichtzyklus sind die vorgestellten Themen sehr vielfältig und zeugen vom EinfĂĽhlungsvermögen und der Beobachtungsgabe Neo C.’s. Ein kleiner Spaziergang gemeinsam mit der hĂĽndischen Gefährtin* fĂĽhrt gedanklich in andere – dĂĽstere – Welten. Die Kritik an Wahlen und der Legitimation der Gewählten, die Frage nach Disziplin und Ordnung, eine Kritik an hierarchisch organisierter Bildung in Form von Schule – das sind nur einige Themen, die den dritten Teil des Buches ausmachen.
Abschließend ist zu sagen, dass mir das Buch gut gefallen hat. Das „Misanthropische Manifest“ ist in anspruchsvoller Sprache geschrieben und bringt einen trotz des satirischen Charakters nicht wirklich zum Lachen. Der Gedichtzyklus und auch die anderen Texte bestechen durch ihre thematische und formale Vielfalt. Ein Buch, das einlädt, immer mal wieder in ihm zu lesen.