Philipp von Gall:
Tiere nutzen – ein kritisches Wörterbuch
Animals’ Angels Press, Frankfurt, 2020
ISBN: 978-3-98166-966-4
Das kritische Wörterbuch von Philipp von Gall ist 2020 im Verlag Animals‘ Angels Press erschienen und vom gleichnamigen Verein herausgegeben worden. Das Buch gliedert sich in zwei größere Teile, die durch eine Danksagung, ein Vorwort, eine Einleitung, ein Fazit und ein Literaturverzeichnis ergänzt werden.
Die Publikation beginnt mit einer Danksagung des Autors. In dieser legt er seinen Studienhintergrund und die Entstehungsgeschichte des Buches offen. Das Vorwort steuert die Gründerin von Animals‘ Angels, Christa Blanke, bei, auf die auch die Initiative zu diesem Buch zurückzuführen ist. Bereits im ersten Satz wird das Ziel des Buches umrissen: „Mit diesem Buch wirbt Animals‘ Angels für einen sensiblen sprachlichen Umgang mit Tieren“ (S. 9). Anschließend wird der Zusammenhang von sprachlicher Abwertung und den aktuellen Praktiken der Behandlung von nichtmenschlichen Tieren von Blanke thematisiert. Dass Sprache sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch auf Gegensätze von Menschen und anderen Tieren fokussiert, Wirkung bei den Hörenden und Lesenden erzeugt – dafür werden bereits erste Beispiele angeführt.
Im Anschluss folgt die inhaltliche Einführung in das Wörterbuch. Auch in dieser Einführung wird die Ausrichtung des Buches früh angesprochen:
„Das vorliegende Buch Tiere nutzen behandelt den Einfluss von Sprache auf die Mensch-Tier-Beziehung im Allgemeinen und auf den Tierschutz im Besonderen.“
S. 13
Alle Begriffe, die im Wörterbuchteil analysiert und kritisiert werden, stammen ursprünglich aus den Debatten um die Nutzung von Tieren zu Nahrungszwecken, so Gall in der Einführung.
Der erste größere Teil des Buches vermittelt den Lesenden die Grundlagen, die hinter dem Konzept der Sprachkritik liegen. Das erste Unterkapitel trägt den Namen Sprachkritik und die Mensch-Tier-Beziehung. Hier wird auf den Einfluss von Sprache auf gesellschaftliche Normen und deren Reproduktionen eingegangen. Dabei wird festgestellt, dass Sprache einer der Faktoren ist, der menschliches Verhalten beeinflussen kann. Dazu werden Beispiele aus verschiedensten Forschungszweigen (z.B. Psychologie, Hirnforschung) angeführt. Die Wechselwirkungen zwischen Sprache und dem Verhalten gegenüber den ökologischen Umwelten haben mit der Ökolinguistik bereits einen eigenen Wissenschaftszweig herausgebildet, der diese untersucht. Eine „Tierlinguistik“, die die Wechselwirkungen von Sprache und dem Verhalten gegenüber nichtmenschlichen Tieren erforscht, steckt hingegen, so der Autor*, noch in den Kinderschuhen. Auf zwei Ebenen kann Sprachkritik angewandt werden: „Sprachkritik kann sich an Begriffen ausrichten, unabhängig von dem Kontext, in dem diese genannt werden. Dann wird meist die Kombination der unterschiedlichen Wortbestandteile kritisiert.“ (S. 17) Ein Beispiel dafür ist die Wortkombination von „Schlacht“ und „Reife“ zu „Schlachtreife“. Sprachkritik kann sich aber auch auf den Rahmen beziehen, in dem ein Begriff genutzt wird. Im Folgenden geht Gall auf den Reflex der Verdrängung von Tierleid ein. Widerspruch hervorrufende Wortkombinationen, wie beispielsweise bei Jonathan Safran Foer‘s Tiere essen, kann zu Irritationen bei den Lesenden oder Hörenden sorgen.
„Zwei gesellschaftliche Komplexe erschweren es, solchen Spannungen im Alltag nachzugehen und sie durch ein neues, angemessenes Verhalten aufzulösen: der psychologisch-kulturelle Komplex und der Komplex wirtschaftlicher Interessen an der Aufrechterhaltung des Status quo.“
S. 19
Im Abschnitt zum psychologisch-kulturellen Komplex wird das Phänomen der kognitiven Dissonanz beschrieben. Grob vereinfacht kann darunter verstanden werden: Zwei Modelle in unserem Denken widersprechen sich (Mitleid mit Tieren haben und Tiere essen wollen). Um diesen Widerspruch aufzulösen, neigen Menschen dazu, diese inneren Konflikte auszublenden.
„Deshalb sollte heute die Frage gestellt werden, ob Verdrängungen Menschen dazu veranlassen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen, die ihnen keinen Nutzen bringen und von denen sie fälschlicherweise meinen, sie seien unumgänglich.“
S. 21
Im Abschnitt über wirtschaftliche Interessen an der Beschönung und Relativierung wird thematisiert, dass „[e]thische Reflexionen […] die Vermarktung von Fleisch, Eiern und Milch erheblich [bedrohen], weil sie innere Konflikte beim Verbraucher auslösen und letztendlich zu einer Änderung des Konsumverhaltens führen können“ (S. 21). Daher muss die Tierindustrie ständig neue Begriffe und Formulierungen einführen, damit das Leid der Tiere verschleiert bleibt. Unterstützt werden die wirtschaftlichen Akteur*innen dabei häufig von Wissenschaft und Politik. Ein Beispiel für diese Strategie sind die Debatten unter dem Label des „Tierwohl“. Daneben nutzt die Tierindustrie viele weitere beschönigende Begrifflichkeiten, die formal-juristisch nicht angreifbar sind. Daher ist es, so Gall, eine wichtige Aufgabe der Sprachkritik, diese beschönigenden Formulierungen und die hinter ihnen liegenden Interessen zu analysieren und zu kritisieren.
Der folgende Abschnitt trägt die Überschrift Beschönigung und Unwissen. Beschönigungen dienen zur Verschleierung negativer Folgen; außerdem verdecken sie ethische Probleme und stellen damit umstrittene Sachverhalte als gesellschaftlich nicht diskutiert dar. In Bezug auf die Tierhaltung kann das zu einer Erhöhung deren Akzeptanz führen. Gall stellt fest: „Die Fachsprache der Tiernutzung wird häufig von der Agrarpolitik aufgegriffen und allmählich Teil der Alltagssprache“ (S. 23). Ein Beispiel ist wiederum der „Tierwohl“-Begriff: Dieser ist mittlerweile in der gesellschaftlichen Diskussion angekommen, jedoch liefern nicht einmal Akteur*innen der Agrarpolitik eine wirkliche Definition des Begriffs.
„Unklare Definitionen wie die des ‚Tierwohls‘ leisten Beschönigungen Vorschub und verhindern damit eine breite gesellschaftliche Diskussion über die ethischen Aspekte der landwirtschaftlichen Tierhaltungspraxis.“
S. 24
Der abschließende Teil des ersten inhaltlichen Kapitels beschäftigt sich mit der Abwertung durch sprachliche Verdinglichung. Tierleid lässt sich nicht nur durch Beschönigung, sondern auch durch Verdinglichung verschleiern. Dabei werden nichtmenschlichen Tieren grundsätzliche „ethisch relevante Eigenschaften“ nicht zugesprochen – sie werden zum Ding erklärt:
„Im zweiten Teil des Wörterbuches wird deutlich, dass eine wesentliche Eigenschaft der Fachsprache der Tiernutzung darin besteht, den Tieren indirekt oder suggestiv ihren Eigenwert abzusprechen.“
S. 25
Nichtmenschlichen Tieren werden bei dieser Strategie oft Emotionen, Gedanken und Wahrnehmungen abgesprochen. Als ergänzendes Argument dient dabei häufig, dass Menschen, selbst wenn Tiere denken, fühlen oder leiden könnten, nie wüssten, was sie denken oder fühlen. Dies wiederum wird geschlussfolgert daraus, dass Tiere (angeblich) nicht sprechen können. „Es ist zwar richtig, dass es unmöglich ist, zweifelsfrei zu belegen, wie sich ein Tier in einer bestimmten Situation fühlt. Doch ebenso unmöglich ist das auch im Hinblick auf Mitmenschen“ (S. 26).
Anschließend an diese inhaltliche Hinführung folgt ein zweiteiliges Wörterbuch mit Bezug zu den beiden beschriebenen Strategien der Verschleierung von Tierleid. Die analysierten Begrifflichkeiten werden jeweils nach folgendem Schema vorgestellt: Nach der Nennung des Stichworts folgt eine kurze Einführung in dessen Verwendung. Anschließend wird der jeweilige Begriff einer Kritik unterzogen und zum Abschluss werden noch alternative Vorschläge für Aktive aus den Bereichen Tierschutz, Tierrechte oder Tierbefreiung gegeben. Für jeden der beiden Bereiche soll im Folgenden je ein Beispiel vorgestellt werden. Der erste Teil des Wörterbuches widmet sich Beispielen für eine Beschönigung der Tiernutzung. Hierfür wird das Stichwort Tierschutz in der Tierhaltung herangezogen. Laut Gall ist der Begriff ähnlich schwammig wie der des „Tierwohls“, so werden beispielsweise „betriebswirtschaftliche Maßnahmen“ als Tierschutz verkauft. „Tierschutz bezeichnet Maßnahmen, die Tiere vor Leid, Schmerzen oder Schäden schützen und ihr Wohlbefinden erhöhen sollen“ (S. 53). Tierschutzgesetze regeln aber weniger den Schutz von Tieren, vielmehr dienen sie der Interessensabwägung zwischen dem Wohlergehen der Tiere und den Profitinteressen wirtschaftlicher Akteur*innen – im Regelfall zugunsten letzterer. Kritisiert wird an der Verwendung des Begriffs Tierschutz vor allem, dass er suggeriere, die getroffenen Maßnahmen auf Seite der Agrarpolitik würden den Tieren zugutekommen. Viele dieser Maßnahmen betreffen jedoch vielmehr die veterinärmedizinische Versorgung. Die geringere Sterblichkeit in der Tiernutzung ist dabei wohl eher betriebswirtschaftlicher Vorteil und weniger ethisch motivierter Tierschutz. Dementsprechend schlägt Gall auch vor, zukünftig von „Veterinärmedizinische[r] Grundversorgung“, „Rechtliche[n] Tiernutzungsregelungen“ oder „Tiernutzungssiegel[n]“ (S. 55) zu sprechen.
Für den zweiten Teil des Wörterbuchs – Beispiele für eine Abwertung der Tiere – wird der Begriff Tierhaltung vorgestellt. Tierhaltung „drückt eigentlich nur ein Besitzverhältnis aus“ (S. 100). Tierliche Individualität oder ethische Fragestellungen in Bezug auf unterschiedlichste Formen des Zusammenlebens bleiben dabei auf der Strecke. Verwendung findet der Begriff in diffuser Weise. So werden einerseits „Nutztiere“ gehalten, andererseits aber auch „Haustiere“. Der Begriff des Nutzens selbst leitet sich auch sprachgeschichtlich von einem Besitzverhältnis ab. Im rechtlichen Sinne wird der Begriff des „Tierhalters“ ebenfalls sehr vage definiert: Er beschreibt Personen, die Tiere in ihrer Obhut haben und sie ernähren. Grundlegend ist an dem Begriff zu kritisieren, dass er keinerlei tierliche Perspektive beinhaltet – lediglich das (ökonomische) Interesse der Menschen steht im Mittelpunkt. Kritisch sollte also viel mehr von „Ausbeutung von Tieren durch den Menschen“ oder von „in menschlicher Gefangenschaft lebende[n] Tiere[n]“ gesprochen werden.
In den Zusammenfassenden Bemerkungen führt Philipp von Gall die Entwicklung dessen an, was als sprachlich angemessen wahrgenommen wurde und wird und dass sich dies im Laufe der Zeit stark veränderte. Die Tiernutzung ist von diesen Veränderungen nicht ausgenommen. Interessanterweise, so stellt der Autor fest, wurden viele der beschönigenden Begriffe im Bereich der Tiernutzung von Wissenschaftler*innen und Fachleuten mitgeprägt. Dies ist gleich in mindestens zweifacherweise kritisch zu sehen: Zum einen erscheint durch die Fachexpertise eine Diskussion auf Augenhöhe für Menschen als unerreichbar und zum anderen äußern sich Wissenschaftler*innen und Fachleute zu wenig, wenn beschönigende Beschreibungen in Medien oder der Politik für die Tierhaltung verwendet werden. Die Liste der abwertenden Begriffe zeigt auf, wie Tiere zu Dingen und zu Sachen gemacht werden. Der letzte Absatz des Werkes beginnt mit einem Aufruf:
„Die hier an einigen ausgewählten Begriffen geübte Kritik ist als Aufruf zu betrachten, sich nicht mit Begriffen abzufinden, die Tiernutzung beschönigen oder Tiere abwerten.“
S. 112
Das kleine kritische Wörterbuch von Philipp von Gall bietet mit insgesamt 22 Stichpunkten einen ersten guten Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Kritik an Begriffen, die aus der Tierindustrie stammen. Die inhaltliche Einführung zur Sprachkritik erleichtert den Zugang zum Wörterbuch ungemein. Aktivist*innen, die sich einerseits mit der sprachlichen Verschleierung von Tierleid und andererseits mit Vorschlägen für eine tierethisch sensiblere Sprache auseinandersetzen möchten, sollten sich dieses kritische Wörterbuch nicht entgehen lassen. Gruppen aus der Tierrechtsbewegung sollten sich dieses Buch für ihren Handapparat zulegen – es kann eine große Hilfe für die Auseinandersetzung mit speziesistischer Sprache und Verschleierungsstrategien der Tierindustrie sein.