Anna-Lena Klapp:
Food Revolte – Ein vegan-feministisches Manifest
GrünerSinn-Verlag, Bad Lippspringe, 2020
ISBN: 978-3-94662-552-0
Im Jahr 2020 erschien im GrünerSinn-Verlag das Werk Food Revolte – Ein vegan-feministisches Manifest von Anna-Lena Klapp. Sie versammelt eigene Gedanken in Form eines Textes und die weiterer Frauen* aus der veganen Bewegung in Interviews. Food Revolte wartet mit insgesamt sieben Kapiteln (inklusive Einleitung) auf, die sich je einem Themenkomplex annähern. Nach einem Textbeitrag von Anna-Lena Klapp folgen Interviews mit Frauen* aus unterschiedlichsten Spektren der veganen Bewegung, wobei die Kapitel und Interviews unabhängig voneinander gelesen werden können. Ergänzend zu den inhaltlichen Texten und Interviews bietet Food Revolte ein angehängtes Glossar mit zentralen Begrifflichkeiten des Buches.
Kapitel eins trägt den Titel Einleitung und zeigt die Motivation Anna-Lena Klapps auf. Verdeutlicht wird ihre Motivation durch eine Anekdote. Diese stammt aber nicht etwa aus lang vergangenen Zeiten, sondern aus dem Jahr 2019. Ein dichter Raum, viele Menschen und in wenigen Momenten soll eine Podiumsdiskussion zum Thema Veganismus stattfinden. Angekündigt waren, wie so oft, nur Männer*. Kurz war Anna-Lena Klapp positiv überrascht: Sollte wenigstens eine Frau* auf dem Podium als Expertin* gehört werden? Die junge Frau* jedoch ‚darf‘ nur einige wenige Worte zu ihren eigenen Erfahrungen in Bezug auf vegane Ernährung vortragen. Die fachliche Expertenmeinung ist männlich. Diese Erfahrung ist jedoch kein Einzelfall: Während 70–80 % der veganen Aktivist*innen – so Klapp in der Einleitung – Frauen* sind, wird die Bewegung nach außen häufig von Männern* vertreten. Um diesem Zustand der Bewegung und dem Patriachat eine andere Perspektive entgegenzusetzen, sind in den folgenden sechs Kapiteln weibliche* Stimmen der veganen Bewegung lesbar gemacht worden.
Kapitel zwei trägt den Namen Meat und Macker. Hier werden vor allem die Symbolwirkung und damit einhergehende Männlichkeitsideale kritisch beleuchtet. Fleisch – also Muskeln und Fett ehemals lebender Individuen – bedeutet in vielen Kulturen Luxus. Gekoppelt mit einer patriarchal geprägten Hierarchievorstellung zwischen Geschlechtern steht dieser Luxus zuallererst den Männern* zu. Dies belegt Klapp unter anderem mit Bezug auf Carol J. Adams und zeichnet Forschungen zur Nahrungsmittelverteilung zwischen den Geschlechtern nach. Auch die Symbolik von Fleischverzehr und Männlichkeit in modernen Gesellschaften findet seine Erwähnung. Dass jedoch ein ähnlich toxisches Männlichkeitsbild, welches unter anderem auf Stärke und sexueller Potenz beruht, auch in veganen Kreisen – z.B. durch Filme wie The Game Changer – reproduziert wird, zeigt Klapp auf. Ein weiteres Terrain, in dem sich dieses Männlichkeitsideal finden lässt, ist die Gastronomiebranche. Das erste Expertinneninterview wurden daher mit einer Frau* geführt, die in eben diesem Bereich arbeitet: Es bietet Einblicke in Das Bernsteinzimmer von Solvejg Klein, die von ihren Erfahrungen auf dem Weg hinzu Deutschlands erster veganer Fachkraft für Süßwarentechnik berichtet. Weg vom eurozentrischen Blickwinkel führt das Interview mit Rubaiya Ahmad. Sie ist Gründerin* der ersten Tierschutzorganisation in Bangladesch. Im Interview erzählt sie von Motiven hinter der Gründung von Obhoyaronno (2009) und ihren Erfahrungen im Bereich des veganen Aktivismus. Das dritte Interview des zweiten Kapitels führt uns in die Welt des Verlagswesens: Von ihrem oft steinigen Weg hin zur Gründung des GrünerSinn-Verlags berichtet Karo Kelc.
Das dritte Kapitel mit dem Titel Was uns verbindet geht wiederum in Anschluss an Carol J. Adams darauf ein, wie weibliche und tierliche Körper für Männer* konsumierbar gemacht werden. Beispielhaft kann hier Werbung für Tierprodukte herangezogen werden: Häufig werden Tiere hier in Posen dargestellt, die auf sexualisierte Darstellungen von Frauen* verweisen. In einer besonders perfiden Art und Weise vollführt diese Inszenierung das Magazin BEEF, welches sich explizit an eine männliche Kundschaft richtet. Auch in der Sprache werden häufig Begriffe genutzt, die sowohl Tiere oder deren Körperteile als auch Frauen* und deren Körperteile bezeichnen – und dies in verschiedenen Sprachen. Die folgenden Interviews starten mit der Zero-Waste Aktivistin* Shia Su, die über einen von ihr betriebenen Back-Blog zum Veganismus und zum Zero Waste-Aktivismus kam. Sie gibt einen Einblick in ihren Werdegang und ihre alltäglichen Erfahrungen – z.B. berichtet sie von Dreharbeiten, bei denen klassische Rollenbilder reproduziert werden sollten. Auf die Frage, ob ein „grüner Kapitalismus“ die Lösung für die vielfältigen Probleme unserer Gesellschaft sei, antwortet Shia Su glasklar: Nein. Das nächste Interview führt uns wieder in den Bereich der Gastronomie. Jessica Wolf und Kristina Mohr berichten von ihren Wegen hin zum gemeinsamen Projekt Fette Beete. Beide haben jahrelange Gastro-Erfahrungen und erzählen einhellig vom männlich geprägten Arbeitsalltag. Sie wollen einen anderen Weg gehen mit ihrem Gastro-Betrieb und feministische Standards in ihre Arbeit einbinden. Pia Klemp nimmt in ihrem Interview eine weitere Perspektive ein: Die Menschen- und Tierrechtsaktivistin* sowie Buchautorin* beschreibt ihre Erfahrungen auf den Meeren dieser Welt. Während sie sich vor einigen Jahren noch für Sea Shepherd engagierte, war sie in den letzten Jahren für die Seenotrettung im Mittelmeer aktiv – was ihr ein Gerichtsverfahren einbrachte. Wie die Gastronomie ist auch die Seefahrt ein noch immer männlich geprägtes Feld. Pia Klemp gibt einen Einblick in diesen Bereich.
Im vierten Kapitel (Warum ist das Grüne so weiß?) geht Anna-Lena Klapp der Frage nach, warum und wie die vegane Bewegung (und andere grüne Bewegungen) rassistische Gesellschaftsmuster reproduzieren und wie eine Mehrstimmigkeit geschaffen werden könnte. Ähnlich wie in der einleitenden Anekdote beschrieben, sind es vor allem weiße Männer*, die die Tierbewegungen nach außen repräsentieren. Schwarze Menschen und People of Colour und ihre Perspektiven auf Tierbefreiung oder Veganismus werden wenig bis gar nicht gehört oder stummgehalten. Josephine Apraku – Mitbegründerin des Institut für diskriminierungsfreie Bildung in Berlin – berichtet von der Arbeit in der diskriminierungsfreien Bildungsarbeit. Weiterhin zeigt sie auf, wie weiß die vegane Bewegung ist, obwohl es viel schwarzes Wissen über Mensch-Tier-Verhältnisse und pflanzliche Lebensweisen gab und gibt. Viele der rassistischen Denk- und Handlungsmuster sind dabei nicht losgelöst von der Kolonialgeschichte – auch und gerade Deutschlands! – und dies muss in der eigenen politischen Arbeit reflektiert werden. Ebenfalls mit (neo)kolonialistischen Strukturen beschäftigt sich die nächste Interviewpartnerin*: Lauren Ornelas gründete das Food Empowerment Network. Im Interview gibt sie Einblick in ihre Arbeit, mit der sie Veganismus, Tierrechte, die Rechte von Indigenen und Ernährungssouveränität miteinander in Kontext setzt. Die Bloggerin und Kochbuchautorin Serayi Sezgin bringt eine weitere Perspektive in das Feld der veganen Bewegung ein: Sie skizziert ihre Erfahrungen, die sie als Muslima zum Veganismus brachte und wie sie heute in ihrer Community für Veganismus wirbt. Auch sie stellt fest, dass die Repräsentation der veganen Bewegung meist weiß und männlich geprägt ist. Dieser Repräsentation möchte auch Michaela Dudley, die folgende Interviewpartnerin*, etwas entgegensetzen. Die Aktivistin*, Kabarettistin* und Journalistin* gibt im Interview einen Einblick in die Realität einer transphoben Gesellschaft. Sie sorgt aber auch für Schmunzeln, wenn sie von den Reaktionen auf ihre Kabarettrolle als vegane Domina berichtet.
Im fünften Kapitel (Gesundheit hat viele (Körper-)Formen) geht Klapp der Konstruktion von ‚perfekten‘, ‚gesunden‘ Körpern und den daraus resultierenden Folgen für Menschen ein, die dieser Norm nicht entsprechen. Sie zeigt auf, dass auch in Diskussionen über Veganismus ein bestimmtes Körperideal vermittelt wird. Dieses normierte Körperbild weicht dabei kaum oder besser gar nicht von Mainstream-Vorstellungen ‚gesunder‘ Körper ab – auch hier werden bestimmte Rollenbilder vermittelt. Sophia Hoffmann zeigt im folgenden Interview ihren Lebensweg hin zur veganen Kochbuchautorin* auf. Auch sie thematisiert, wie die Gastro-Branche in großen Teilen auf ein toxisches Männlichkeitsideal aufbaut und dass in den Küchen ein rauer Umgangston herrscht. In den Bereich der Musik führt das Interview mit Cloudy June. Die 21-jährige Musikerin* beschreibt ihren Weg zum Veganismus und dass sie ihre Stimme für die Rechte von Tieren einsetzt. Es wird aber auch ein Einblick in das Musikgeschäft gegeben, welches – ähnlich der Gastronomie und Seefahrt – immer noch von Männern* geprägt ist. Einen Zugang zu den Gemeinsamkeiten von LGBTQIA+- und Tierbefreiungsaktivismus bietet das Interview mit Daniela Zysk und India Kandel. Beide sind aktiv beim Vegan Rainbow Project und versuchen die Gemeinsamkeiten von Sexismus und Speziesismus aufzuzeigen. Dazu sind sie sowohl auf Veranstaltungen der Tierbefreiungsbewegung als auch der LGBTQIA+-Bewegung anzutreffen.
Kapitel sechs trägt den Titel Zerstört das Patriarchat, nicht den Planeten – hier werden gleich mehrere wichtige Themen der veganen Bewegung angesprochen. Unter anderem geht es um die Unsichtbarmachung von Frauen* und People of Colour in den Geschichtserzählungen über Veganismus und Tierrechte. Weiterhin wird kritisch auf die Verwendung geschichtsrelativierender Vergleiche verwiesen. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, beispielsweise die Tötung von Tieren zum Gewinn sogenannter Tierprodukte mit den nationalsozialistischen Verbrechen während der Shoah zu vergleichen. Dies ist respektlos gegenüber den Opfern und relativiert gleichzeitig die Verbrechen während des sogenannten Dritten Reichs. Auch sexualisierte Gewalt ist ein Phänomen in veganen Bewegungen – auch hierauf geht Klapp im sechsten Kapitel ein. Einen Blick in die Welt des Kraftsports gibt Sahyuri Lalime in ihrem Interview. Sie lebt in Belgien und trägt mehrere nationale Titel im Powerlifting. Sie thematisiert die zum Teil irritierten Reaktionen auf ihre vegane Lebensweise in der Kraftsportcommunity. Die bio-vegane Landwirtschaft wird in den nächsten beiden Interviews thematisiert: Was es mit biozyklisch-veganem Anbau auf sich hat, wie das dazugehörige Label entstand und der dazugehörige Verein arbeitet erläutert Anja Bonzheim. Sie zeigt aber auch die Schwierigkeiten auf, die bei der Arbeit innerhalb eines (scheinbar) männlich geprägten Feldes wie der Landwirtschaft für Frauen* anzutreffen sind. Einen ähnlichen Einblick bietet das Interview mit einer der Gründer*innen des Vereins und der Gemüsegenossenschaft PlantAge Judith Ruland. Sie und ihre Genoss*innen bauen in der Nähe von Frankfurt (Oder) Gemüse an. In Berlin und Brandenburg können Menschen hier im Sinne der solidarischen Landwirtschaft bio-vegan produziertes Gemüse beziehen.
Nach der kritischen Analyse der veganen Bewegung in den ersten sechs Kapiteln bietet das abschließende einen Ausblick für eine diverse vegane und Tierrechtsbewegung. Klapp macht deutlich, dass eine pflanzenbasierte Ernährung und Lebensweise für viele Fragestellungen unserer Gesellschaft durchaus ein Potential besitzt, Dinge zum Besseren zu bewegen. Stichworte könnten hier beispielsweise Klimawandel und Ressourcenverbrauch im Ernährungssektor sein. Eine vegane Bewegung, die aber tatsächlich an einer freien Gesellschaft arbeiten möchte, darf nicht auf Parolen verfallen wie: „Veganism First“ oder „Animals First“. Eine wirkliche Befreiungsbewegung für nichtmenschliche Tiere* muss auch Sexismus, Rassismus, Ableismus etc. mitdenken und in den eigenen Reihen strikt bekämpfen. Bevor Anna-Lena Klapp sich selbst interviewt, fasst sie in wenigen Stichpunkten zusammen, was für eine inklusive vegane Bewegung getan werden müsste. Im Interview mit sich selbst stellt Anna-Lena Klapp sich den Leser*innen vor und gibt einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Buches.
Anna-Lena Klapps Food Revolte ist ein zu empfehlendes Buch. Die einzelnen Kapitel sind gut recherchiert und legen an vielen Punkten ‚den Finger in die Wunde‘. Die Thematisierung von Rassismus, Sexismus, Body-Shaming etc. in der veganen Bewegung ist unglaublich wichtig. Die Vielstimmigkeit und damit die verschiedensten Zugänge, Erfahrungen und Expertisen sind ein Vor- und kein Nachteil. Diese müssen sicht- und hörbar gemacht werden und Anna-Lena Klapp macht einen ersten – gelungenen – Schritt für den deutschsprachigen Raum. Die Interviews bieten gleich drei Pluspunkte: Als erstes zeigen sie die Vielschichtigkeit der Zugänge zu Tierrechten oder Veganismus, zweitens geben sie Frauen* aus der veganen Bewegung Raum für ihre Stimmen und Expertise und drittens bieten sie zwischen den Texten von Anna-Lena Klapp immer wieder sehr persönliche Einblicke in die Erfahrungswelt von Akteurinnen* der veganen Bewegung. Die von Anna-Lena Klapp und ihren Interviewpartnerinnen* angesprochenen Kritikpunkte müssen innerhalb der veganen sowie der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung angegangen werden. Vor allem die Vielfältigkeit der Bewegung auch nach außen zu repräsentieren und nach innen Sexismus, Rassismus etc. anzugehen, sollte ein Anfang auf dem Weg in die befreite Gesellschaft sein. Für eine erste Sensibilisierung sollte das Buch in möglichst vielen Bibliotheken von Tierrechts- und Vegan-Gruppen stehen.
Zuzustimmen ist abschließend Anna-Lena Klapps Fazit: Diversität ist mehr als eine große Auswahl an Pflanzendrinks!
Übrigens: Mehr von Anna-Lena Klapp gibt es auf ihrem Blog Food Revolte.