Die Geschichte des Veganismus in Deutschland

Florentine Fritzen:
Gemüseheilige – Eine Geschichte des veganen Lebens
Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2016
ISBN: 978-3-515-11429-5

Im Jahr 2016 veröffentlichte der Franz Steiner Verlag das Buch Gemüseheilige – Eine Geschichte des veganen Lebens von Florentine Fritzen. Das Werk ist aufgeteilt in drei größere Kapitel und legt den Schwerpunkt auf die Geschichte des Veganismus in Deutschland.

Nach einem Vorwort beginnt das erste Kapitel mit dem Namen Bevor es das Wort gab. In diesem Kapitel geht es um die frühen Veganer*innen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie bereits der Kapitelname verrät, war bis 1944 der Begriff des Veganismus noch nicht geprägt – daher nähert sich Fritzen den Vegetarier*innen an, die eine rein pflanzliche Ernährung wählten. Diese wurden als „strenge Vegetarier“ oder Vertreter eines sogenannten „Hochvegetarismus“ zeitgenössisch bezeichnet. Wir begegnen einem Vertreter namens Reinhold Riedel, welcher nach einer beruflichen Veränderung die vegetarischen Hochburgen – Leipzig und Berlin – verlassen musste und häufig auf Reisen war. Riedel ist ein Beispiel für die reinen Pflanzenköstler des 19. Jahrhunderts. Er begegnet den Lesenden immer wieder im Laufe des Buches. Der erste Teil des Buches spürt aber noch weitere Vertreter*innen des Veganismus auf. Dabei fällt auf, dass Fritzen immer wieder auf die internen Diskurse der frühen vegetarischen Bewegung verweist, innerhalb derer die konsequenten Veganer*innen eine Ausnahme darstellten. So werden die Debatten um den Konsum von Eiern und Milch(produkten) immer wieder aufgezeigt. Gezeigt werden im ersten Teil auch verschiedenste Infrastruktur-Projekte mit vegetarischer und zum Teil veganer Ausrichtung, beispielsweise Sanatorien oder vegetarische Siedlungen, wie die Obstbau-Siedlung Eden in Oranienburg oder das Projekt auf dem Monte Veritá im Tessin. Das frühe 20. Jahrhundert brachte den Vegetarier*innen viele Veränderungen, hauptsächlich durch die Situation im ersten Weltkrieg. Während bis 1914 die Debatten um pflanzliche Ernährung zu einem großen Teil auf gesundheitliche Aspekte ausgerichtet war, veränderte sich dies, zumindest im organisierten Vegetarismus nach 1918. Hier wurden verstärkt ethische Argumente des Verzichts auf Fleisch angebracht. Die Debatten innerhalb der vegetarischen Kreise der Weimarer Republik werden von Fritzen ebenfalls im ersten Teil ihres Buches aufgeführt. Auch die Zeit des Nationalsozialismus wird nicht ausgespart – so wird beispielsweise auf die Idee eingegangen, dass Adolf Hitler Vegetarier gewesen sei. Die von einigen organisierten Vegetarier*innen begrüßte Machtübernahme der Nazis wird ebenfalls thematisiert. Die Zeit des NS brachte aber nicht etwa ein „vegetarisches Reich“ mit sich, sondern vielmehr das Verbot aller progressiven vegetarischen Organisationen und die Gleichschaltung der anderen Organisationen. Fritzen geht davon aus, dass es während des NS kaum bis keine vegetarischen Speiselokale mehr gegeben hätte. Leider fehlt an dieser Stelle die Erwähnung der Lokale des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes, welche vegetarisch waren und als Basis für Widerstandsaktionen genutzt wurden.

Der zweite, relativ kurze Teil des Buches (Die Erfindung des Wortes) wagt einen Exkurs nach England in das Jahr 1944. Mit Bezug auf Donald Watson und seine Mitstreiter*innen wird auf die Entstehungsgeschichte des Begriffes „vegan“ eingegangen.

Im dritten Teil des Buches (Seit es das Wort gibt) geht es zurück nach Deutschland. In diesem Kapitel wird die Geschichte des Veganismus nach 1944 besprochen. Zuerst werden die Versuche des Wiederaufbaus der vegetarischen Organisationsstruktur thematisiert. In den 1950er Jahren war der Begriff des Veganismus noch nicht in Deutschland angekommen. Einen Schwerpunkt dieses Kapitels bildet der Veganismus des geistlichen Carl Anders Skriver. Dieser stellte seine vegane Idee in den Kontext des sogenannten Urchristentums und begründete den Veganismus auf religiöser Grundlage. Skriver war dabei einer der ersten Akteure* in Deutschland, die den Vegan-Begriff nutzten. Weiterhin werden einige weitere Personen vorgestellt, die sich auch in Leser*innenbriefen größerer Zeitungen mit der rein pflanzlichen Ernährung auseinandergesetzt haben. Ein kleines, aber interessantes Unterkapitel widmet sich den Verbindungen von bundesrepublikanischen Vegetarier*innen und Vegetarier*innen in der DDR. Eine vegetarische oder sogar vegane Bewegung in der DDR konnte aber nicht ausgemacht werden. Weiterhin widmet sich Fritzen den aktuelleren Entwicklungen der veganen Bewegung in Deutschland seit den 1980er Jahren. Dabei wird die Tierrechtsbewegung, die in Deutschland durchaus eine treibende Kraft in der Verbreitung des Vegan-Begriffes war, nur mit wenigen Seiten abgetan. Interessanterweise werden auch die Kritiken von Jutta Ditfurth aus ihrer Publikation Entspannt in die Barbarei im dritten Teil aufgerollt. Auch dem aktuellen Wohlfühl-/ Lifestyle-Veganismus wird Platz in Fritzens Buch eingeräumt. Exemplarisch für die Veränderungen innerhalb der vegetarischen Bewegung hin zum Veganismus werden die Entwicklungen des Vegetarierbundes thematisiert. Während innerhalb der 1990er Jahre eine vollkommen vegane Verpflegung der eigenen Veranstaltungen noch nicht möglich schien, hat sich dies in den letzten Jahren stark verändert: Die Verpflegung der VeBu-/ ProVeg-Veranstaltungen sowie die Rezepte in deren Magazin sind mittlerweile durchgängig vegan.

Florentine Fritzens Buch über die Geschichte der veganen Lebensweise bietet vor allem Menschen einen guten Einstieg, die neu in der Thematik sind. Positiv hervorzuheben ist der Versuch, eine lange Geschichte des Veganismus zu erzählen, indem Vertreter*innen einer rein pflanzlichen Lebensweise aufgespürt wurden, die noch vor der Entstehung des Begriffs „Veganismus“ diesen bereits vertraten. Auch die Vielschichtigkeit der Herangehensweisen von Vertreter*innen des (organisierten) Vegetarismus und deren Diskussionen werden durch Fritzens Buch sichtbar gemacht. Die – vor allem linke – Tierrechtsbewegung der frühen 1990er Jahre, die entscheidend mitgewirkt hat an der Verbreitung des Begriffs „Veganismus“ in Deutschland, findet leider kaum Platz innerhalb des Buches. Für Neueinsteiger*innen in das Thema der Geschichte des Veganismus ist Gemüseheilige ein erster Anlaufpunkt, von dem aus weitere eigene Recherchen durchgeführt werden können.