
Anett Laue:
Das sozialistische Tier â Auswirkungen der SED-Politik auf gesellschaftliche Mensch-Tier-VerhĂ€ltnisse in der DDR (1949â1989)
Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln/Weimar/Wien, 2017
ISBN: 978-3-412-50712-1
Die Geschichte der Menschen lĂ€sst sich nicht ohne das Beziehungsgeflecht mit nichtmenschlichen Tieren schreiben. Dieser simpel klingenden Erkenntnis folgen seit einigen Jahren Historiker*innen aus den Bereichen der Human-Animal Studies bzw. im deutschsprachigen Raum der Tiergeschichte. Durch diesen neuen Zugang zur Vergangenheit werden bisher blinde Flecken aufgedeckt und neue Geschichten ĂŒber Tiere* und Menschen geschrieben. Im vorliegenden Band Das sozialistische Tier von Anett Laue wird das Beziehungsgeflecht von Menschen und anderen Tieren innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unter die Lupe genommen.
Das sozialistische Tier â Auswirkungen der SED-Politik auf gesellschaftliche Mensch-Tier-VerhĂ€ltnisse in der DDR (1949â1989) erschien 2017 im Böhlau Verlag. Nebst einer Einleitung und den Schlussbetrachtungen stellt das Werk von Anett Laue insgesamt vier inhaltliche Kapitel in den Vordergrund ihrer Untersuchung. Dabei werden im ersten Kapitel Grundannahmen ĂŒber das Natur- und TierverstĂ€ndnis in der marxschen Theorie vorgestellt. Da dieses TheoriegebĂ€ude die grundlegende Normsetzung fĂŒr die Idee (nicht die RealitĂ€t!) des Alltags der Menschen und Tiere*, die in der DDR lebten, darstellte, werden von Laue hier die Grundsteine fĂŒr die weitere Betrachtung der Mensch-Tier-VerhĂ€ltnisse gelegt. Das zweite Kapitel widmet sich dem VerhĂ€ltnis der Menschen zu sogenannten Heimtieren. Vorgestellt werden hier unter anderem ambivalente Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von âHeimtierenâ sowie politische Entscheidungen und Normen im Umgang mit ihnen. Das dritte Kapitel fĂŒhrt in die VerhĂ€ltnisse der Menschen in der DDR zu âNutztierenâ ein. Der Zugriff auf nichtmenschliche Tiere innerhalb der planwirtschaftlichen Produktion, vor allem in der Landwirtschaft, ist hier Thema. Im vierten Kapitel widmet sich Anett Laue den organisierten TierschĂŒtzer*innen innerhalb der DDR. Wie konnte sich ĂŒberhaupt organisiert werden und welche Strukturen gab es im realexistierenden Sozialismus zwischen 1949 und 1989 in der DDR?
Das erste inhaltliche Kapitel ist als grundlegend fĂŒr das VerstĂ€ndnis der weiteren Arbeit von Anett Laue in Das sozialistische Tier zu verstehen â wenn auch, wie sie selbst einrĂ€umt, keine umfassende Analyse des Natur- und TierverstĂ€ndnisses in der marxistisch-leninistischen Tradition geleistet wird und werden kann. Im VerstĂ€ndnis der marxschen Geschichtsauffassung wird auch die Natur in diese eingeordnet. Natur an sich habe keinen eigenen Wert, vielmehr wĂŒrde sie erst einen Wert durch menschliche Arbeit erhalten. Das Konzept Natur ist jedoch, so auch Laue, in den Werken von Marx nahezu omniprĂ€sent, geht es doch â im Sinne einer materialistischen Weltanschauung â um das VerhĂ€ltnis von Mensch und Natur, wobei Menschen sich gegebene (materielle) natĂŒrliche Ressourcen vermittelt durch Arbeit zu eigen machen. Ressourcen und auch Tiere wurden zu Produktionsmitteln bzw. Naturstoffen und Arbeitsmitteln. Neben dieser Funktion dienten Tiere* in den Werken von Marx und Engels als Folie des Gegensatzes zu Menschen bzw. zu menschlichen Gesellschaften.
Das zweite Kapitel nĂ€hert sich den Beziehungen von Menschen und sogenannten Haustieren an. Dabei wird von Laue zuerst der Begriff des Heimtiers und seine Konstruiertheit sowie VerĂ€nderbarkeit angesprochen. Heimtierhaltung unterliegt keinem wirtschaftlichen Zweck; daher kann sie bzw. ihre Darstellung und Organisation politisch-ideologisch aufgeladen werden. Dies galt auch fĂŒr die Heimtierhaltung in der DDR: Innerhalb des DDR-Sozialismus wurden Heimtiere rĂ€umlich verortet bzw. definiert, d.h. es handelte sich um Tiere*, die in der eigenen Wohnung gehalten wurden, ohne dass dafĂŒr eine gesonderte landwirtschaftliche FlĂ€che, beispielsweise zum Anbau von Futtermitteln, genutzt wurde. Die Schwerpunkte dieses Kapitels liegen in der Untersuchung der Konstruktion einer neuen, sozialistischen Heimtierkultur sowie den MaĂnahmen, die herangezogen wurden, um diese neue Kultur zu etablieren. FĂŒr die SED-Regierung stellte die Heimtierhaltung ein ideologisches Problem dar, entstand sie doch im 19. Jahrhundert mit der Herausbildung einer bĂŒrgerlichen Schicht bzw. Gesellschaftsordnung. Diese bĂŒrgerliche Gesellschaft wiederum war erklĂ€rtes ideologisches Feindbild des SED-Regimes, was dazu fĂŒhrte, dass eine eigenstĂ€ndige Heimtierkultur im staatssozialistischen Sinne etabliert werden musste.
Das dritte Kapitel des Werks von Laue widmet sich der Thematik der Nutztierhaltung innerhalb der DDR. Die Ausbeutung von Tieren* fĂŒr die Produktion von Nahrungsmitteln war ein essenzieller Teil der Versorgung mit âLebensmittelnâ der Bevölkerung der DDR. Der Umbau der Landwirtschaft im Laufe der Zeit der DDR â z.B. (Zwangs-)Kollektivierung â war ein zentraler Punkt im VerhĂ€ltnis von Menschen und Tieren* unter dem Regime der SED. Der Umbau der Landwirtschaft bzw. der Tierindustrie und die damit verbundene Konstruktion âneuer Produktionsmittelâ tierlicher Herkunft ist dementsprechend Thema bei Laue.
Das vierte Kapitel widmet sich dem Tierschutz in der DDR. Der Tierschutz â scheinbar ein Ăberbleibsel bĂŒrgerlicher Gesellschaften â wurde in der DDR zumindest in der organisierten Form wenig bis gar nicht geduldet. Tierschutz musste sich an die staatlichen Gegebenheiten anpassen und eigenstĂ€ndige Strukturen konnten, zumindest bis in die spĂ€ten 1980er Jahre, nicht aufgebaut werden. Wie sich TierschĂŒtzer*innen trotzdem versuchten zu organisieren, stellt Laue vor.
Die Untersuchung der Mensch-Tier-VerhĂ€ltnisse in der DDR, die Anett Laue mit Das sozialistische Tier vorlegt, bietet einen umfassenden, wenn auch nicht vollstĂ€ndigen Blick auf die Mensch-Tier-Beziehungen innerhalb der DDR-Gesellschaft. FĂŒr Aktivist*innen der Tierbewegungen zeigt das Buch auf, wie sich die Zugriffe und HerrschaftsverhĂ€ltnisse gegenĂŒber nichtmenschlichen Tieren innerhalb einer â zumindest der Ideologie nach â nicht-kapitalistischen Gesellschaft verĂ€nderten. Interessanterweise gab es jedoch Parallelen â z.B. der Ausbau der Massentierhaltung, der sowohl in Ost- als auch Westdeutschland seit den 1950er/60er Jahren vorangetrieben wurde. Das Kapitel zu den TierschĂŒtzer*innen in der DDR zeigt auĂerdem, wie innerhalb eines solchen Systems die Frage nach dem Schutz von Tieren* verhandelt wurde bzw. mit welchen Schwierigkeiten Aktive konfrontiert wurden. FĂŒr Interessierte der Geschichte der Mensch-Tier-VerhĂ€ltnisse und auch der Geschichte der Tierbewegungen ist das Werk von Anett Laue sehr zu empfehlen.