Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg (Hrsg.):
Das Schweinesystem – Aufhebung der Werkverträge und des Subunternehmertums!
Die Buchmacherei, Berlin, 2020
ISBN: 978-3-98220-360-7
Ein wenig früher als geplant wurde im Juni 2020 das Buch Das Schweinesystem vom Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg veröffentlicht. Der Sammelband, der aus unterschiedlichsten Perspektiven das „System Tönnies“ kritisiert, hat insgesamt 15 Beiträge versammelt.
Die Kritik am System der Fleischindustrie wird aus gewerkschaftlicher, kirchlicher, zivilgesellschaftlicher sowie tierbefreierischer Sicht formuliert. Den Anfang macht ein sehr persönlicher Bericht von Erika Harzer. Sie beschreibt ihre Erfahrungen im bescheidenen Kellinghusen – einem Ort, in dem auch Tönnies eine Großschlachterei betreibt. Sie zog von Berlin aufs Land und beschreibt den Weg vom Erschrecken über die Arbeitsbedingungen bis hin zur Gründung der Bürgerinitiative SAUstarkes Kellinghusen. In der Folge geht Inge Bultschnieder, ausgehend von ihrer Erfahrung eines Krankenhausaufenthalts, bei dem sie eine Werkvertragsarbeiterin* aus dem Tönnieswerk in Rheda-Wiedenbrück kennenlernte, auf ihren Kampf gegen das „System Tönnies“ ein. Um gegen das System der Werkvertragsarbeit zu kämpfen, gründete sie die IG WerkFAIRträge. Als nächstes folgen einige Informationen über Clemens Tönnies und seinen Konzern unter dem Titel „Jour Fixe Infos“. In einem Interview mit Christin Bernhold und John Lütten – beide aktiv im Bündnis Marxismus und Tierbefreiung – geben zwei ehemalige Betroffene des Werkvertragssystem Einblick in das menschen- und tierverachtende „System Tönnies“. Nach einigen „Impressionen aus der Fleischproduktion“ folgt ein Beitrag von Peter Kossen, seines Zeichens Pfarrer und seit 2012 im Kampf gegen Werkverträge und Subunternehmertum in der Fleischindustrie unterwegs. Auf Kossen ist der im Kampf gegen das „System Tönnies“ oft zu hörende Begriff „Wegwerfmenschen“ zurückzuführen. Der Vorsitzende der Aktion gegen Arbeitsunrecht, Werner Rügemer, steuert zwei Beiträge zum Sammelband bei. Der erste seiner Beiträge ist ein Abdruck seiner Rede während der Aktion „Schwarzer Freitag der 13.“ vom September 2019 gegen Tönnies. Im zweiten geht er auf die Arbeitsmigrant*innen als Hochrisikogruppe für ansteckende Krankheiten ein – ein Fakt, der bereits vor der Corona-Pandemie bekannt war. Anschließend kritisiert Matthias Brümmer (Gewerkschaft Nahrung–Genuss–Gaststätten) das System der Werkverträge und Subunternehmer aus gewerkschaftlicher Perspektive. Ebenfalls aus gewerkschaftlicher Perspektive untersucht Rüdiger Granz die Entwicklung der Schlachtindustrie bis zum Punkt der heutigen Großschlachtereien. Guido Grüner, Aktivist bei der Arbeitslosenhilfe Oldenburg, beschreibt seine Erfahrungen mit der Situation von Arbeitsmigrant*innen. Peter Birke (Soziologe) richtet in seinem Beitrag einen großen Blick auf die Situation von Arbeitsmigrant*innen in der Corona-Pandemie und die öffentlich geführten Diskurse rund um die Situation. Der Netzwerker Dieter Wegner, der die einzelnen Autor*innen dieses Sammelbandes zusammenführte, stellt den letzten Beitrag des Bandes. Er geht auf den aktuellen Diskurs rund um die Fleischindustrie in der Corona-Pandemie ein und macht deutlich, dass die menschenunwürdigen Zustände bereits vor Corona bekannt waren.
Das Buch Das Schweinesystem bietet einen guten Einblick in die verschiedensten Ebenen des Kampfes gegen Tönnies und liefert zum Teil überraschende Informationen – beispielsweise die Verstrickungen von Tönnies mit dem Energiekonzern RWE. Ein weiterer Vorteil des Buches ist, dass viele einzelne Initiativen zu Wort kommen und vorgestellt werden – es wird deutlich, dass der Kampf gegen die Fleischindustrie an vielen Fronten geführt werden muss und bereits geführt wird. Aus Sicht eines Projekts der Tierbefreiungsbewegung ist dazu noch positiv hervorzuheben, dass einerseits Aktive des Bündnisses Marxismus und Tierbefreiung einen Beitrag vorlegten und dass andererseits in Beiträgen anderer Akteur*innen auch die Vernetzung mit „Tierschutz- und Tierrechtsgruppen“ als ein positiver Punkt thematisiert wird. Für Aktivist*innen, deren Fokus bisher vor allem auf nichtmenschlichen Tieren lag, bietet das Büchlein einen guten Überblick über das System der Werkverträge in Kombination mit Subunternehmen und gibt außerdem Einblick in die menschenverachtenden Zustände in der sogenannten Fleischproduktion. Wer sich multiperspektivisch gegen die Fleischindustrie engagieren möchte und eine kurzweilige Einführung in das „System Tönnies“ als Stellvertreter für die Branche lesen möchte, der*die sollte sich dringend überlegen, sich Das Schweinesystem des Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg zuzulegen.
Hinweis: Ab der 2. Auflage gibt es das Buch unter dem Titel Das “System Tönnies” – organisierte Kriminalität und moderne Sklaverei…vielleicht auch wegen der Kritik, dass es Schweine nicht verdient haben, in moralische Mithaftung fĂĽr ein ausbeuterisches System genommen zu werden.